Photo: CEC/Albin Hillert
Cornelia Kästner-Meyer
Leitende Kommunikationsreferentin des Lutherischen Weltbundes
Estland ist zum ersten Mal Gastgeber der KEK -Generalversammlung. Erzbischof Urmas Viilma von der Estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche und Vorsitzender des Estnischen Kirchenrates (ECC) sowie Mitglieder des Lokalen Planungsausschusses erklären, warum das Treffen in Estland etwas Besonderes ist.
Der Eröffnungsgottesdienst der KEK-Generalversammlung 2023 hielt ein besonderes Geschenk für die Delegierten bereit: „Ema õnnistus“ (Mutters Segen), ein Chorstück, das Pärt Uusberg, ein aufstrebender junger estnischer Komponist, speziell für die Versammlung komponiert hatte (link). Chormusik ist in Estland ein nationaler Schatz: Mit einer „Singenden Revolution“ riss das Land den Eisernen Vorhang nieder; das alle fünf Jahre stattfindende Chorfestival Tallinn ist ein Großereignis: Schätzungsweise 30.000 Esten singen in einem oder mehreren Chören, und das in einem Land mit knapp einer Million Einwohnern. Für die Generalversammlung eine gelungene Einstimmung auf das diesjährige Gastland.
Estland, nur wenig größer als die Niederlande, ist ein säkularisiertes Land. Jahrzehnte der Sowjetherrschaft haben die traditionellen familiären Bindungen zu Kirche und Glauben zerschnitten; es gibt keinen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, der Staat treibt keine Kirchensteuer ein. „Wir sind seit mehr als 100 Jahren vom Staat getrennt“, sagt Viilma. Heute gehören nur noch 26 % der Esten einer Kirche an, die Mehrheit ist lutherisch oder orthodox. Gleichzeitig „dienen wir nicht nur unseren Mitgliedern, sondern der gesamten Gesellschaft“, fügt der Erzbischof hinzu.
Diese spezielle Sichtweise sei auch ein wichtiger Beitrag der estnischen Kirchen zu den akuellen Diskussionen in den europäischen Kirchen. Viele sind mit sinkenden Mitgliederzahlen und Diskussionen über ihre Vereinbarungen mit dem Staat konfrontiert. „Unsere Gegenwart ist für viele europäische Länder die Zukunft“, sagt Erzbischof Viilma.
Unabhängig und ökumenisch
Die ökumenische Zusammenarbeit hat die Kirchen in Estland in ihrer Minderheitensituation getragen. Der Estnische Kirchenrat, ein Gremium aus zehn Kirchen verschiedener Konfessionen, trifft sich jeden Monat. „Der Herr hat unglaubliche Möglichkeiten, etwas Schreckliches wiedergutzumachen“, lacht Rev. Dr Triin Käpp, Koordinatorin der Vollversammlung. „Den Staat als Feind zu haben, hat uns Kirchen in Estland geeint.“
Die Mitgliedschaft in ökumenischen Organisationen wie der KEK ist wichtig, um Brücken zu bauen und einen neutralen Boden für informelle Treffen zwischen Kirchen zu schaffen, die aus politischen Gründen möglicherweise keine Beziehung zueinander haben. Zu Sowjetzeiten boten Versammlungen der KEK der lutherischen Kirche in Estland die Möglichkeit, sich mit ihren Kollegen im Exil zu treffen. Heute bietet der Estnische Kirchenrat einen Raum, in dem die beiden orthodoxen Kirchen Estlands immer noch miteinander sprechen. „Wir versuchen immer, mit einer Stimme zu sprechen, und die Unterschriften aller zehn Mitglieder auf unseren Erklärungen zu haben“, betont Viilma.
Die KEK-Vollversammlung habe diese ökumenischen Beziehungen noch einmal stärker auf die Gemeindeebene gebracht, fügt Vollversammlungskoordinatorin Käpp hinzu. Die Gemeinden haben die Delegierten zu ihren Sonntagsgottesdiensten eingeladen. „Die Generalversammlung hier zu haben, bedeutet uns sehr viel“, sagt Käpp.