Kirche sein, mitten im Krieg

18 June, 2023

Photo: Albin Hillert/CEC
Photo: Albin Hillert/CEC

Cornelia Kästner-Meyer ist Leitende Kommunkationsreferentin des Lutherischen Weltbundes

In einer Anhörung zum Krieg in der Ukraine beleuchteten Kirchenleitende aus der Ukraine die Situation ihrer Kirchen im Krieg. Sie benannten vor allem die Herausforderung, angesichts unaussprechlicher Gewalt die richtigen Worte in einer mehrheitlich kirchenfernen Gesellschaft zu finden. Die Sitzung fand am 17. Juni im Rahmen der derzeit in Tallinn stattfindenden KEK-Generalversammlung unter dem Thema „Unter Gottes Segen – die Zukunft gestalten“ statt.

Wo ist Gott, wenn Kinder getötet werden, wenn Menschen gefoltert werden, wenn eine ganze Generation traumatisiert ist? Mehr als einmal sprachen die fünf ukrainischen Kirchenführer über die Schwierigkeit, angesichts von Kriegsverbrechen einen liebenden Gott zu predigen.

Zu Beginn ihrer Vorträge teilten einige Diskussionsteilnehmer ihre Kriegserfahrungen. „Jeden Tag werden Menschen getötet, Kinder sterben, Häuser werden zerstört. Jeden Tag begräbt jemand einen geliebten Menschen. Jeden Tag wird jemand obdachlos“, sagte Professor Volodymyr Bureha, Vizerektor der Orthodoxen Theologischen Akademie in Kiew der Ukrainischen Orthodoxen Kirche. „Und deshalb ist die erste Frage, mit der wir als Christen jeden Tag konfrontiert sind: Wo ist Gott in diesem Krieg? Wo war Gott, als eine Rakete in ein Wohnhaus in Dnipro einschlug und Dutzende Kinder, Frauen und ältere Menschen unter den Trümmern starben?“

Als Kirche Antworten finden

Die Ukraine ist, wie viele Länder unter vormals sowjetischem Einfluss, weitgehend säkularisiert. „Wenn wir die Ukraine als orthodox oder christlich bezeichnen, ist das Wunschdenken“, sagte Bischof Pavlo Schwartz von der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Ukraine (DELKU). Die Gemeinden seiner Kirche befinden sich grösstenteils im Osten des Landes. „Es wird die größte Herausforderung sein, mit einer traumatisierten, säkularen Person über Vergebung zu sprechen. Das ist jenseits unserer konfessionellen Narrative.“

Zwar herrschte Konsens darüber, dass es wichtig sei, über eine Nachkriegsukraine nachzudenken, doch der richtige Zeitpunkt, um als Friedensstifter zu handeln, war ein Diskussionsthema. Viele Panelisten waren sich einig, dass der Krieg das christliche Konzept, den Feind zu lieben und die andere Wange hinzuhalten, in Frage stellte und dass Frieden und Versöhnung nur möglich sind, wenn sie mit Gerechtigkeit einhergehen.

„Zu einem gerechten Frieden gehört die Beseitigung der Kriegsursache und nicht nur seiner sichtbarsten Auswirkungen. Frieden kann nicht mit der Preisgabe der Wahrheit erkaufen. Frieden kann nicht erreicht werden, indem man den Angreifer und das Opfer des Angriffs gleichstellt“, betonte Metropolit Jewstratij von Bila Tserkwa, stellvertretender Leiter der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der Orthodoxen Kirche der Ukraine. Er beklagte auch, dass viele Kirchenführer „zu Handlangern der Aggression geworden“ seien oder „sich hinter einem Schleier des Schweigens verstecken“.

Gleichzeitig äußerten die Kirchenoberhäupter ihre Besorgnis über das Narrativ von Hass und Rache, das der Krieg ausgelöst hat und das inzwischen auch unter Kindern verbreitet sei. „Kirchen müssen eine Antwort auf die Frage geben, wie man in dieser Hölle Christ bleiben kann“, sagte Bureha.

Gesprächskanäle offen halten

Bischof Sándor Zán Fábián von der Reformierten Kirche in Transkarpatien sprach über die Auswirkungen des Krieges auf seine Gemeinde im Westen der Ukraine. Mehr als 100 Gemeinden haben russisch- und ukrainischsprechende Binnenflüchtlinge aufgenommen und teilen Alltag und Gottesdienst mit ihnen. „Im Schatten dieses Krieges haben wir tatsächlich ein Geschenk der Versöhnung zwischen Gemeinschaften erlebt, die normalerweise von der Politik gegeneinander ausgespielt werden“, sagte er.

Gleichzeitig warnte er davor, dass die seelische Belastbarkeit der Menschen erschöpft sei. „Ich sehe mit Sorge und Angst, wie die internationale Gemeinschaft Uniformen anlegt und wie in einer Sprache des Krieges und der Waffen über die Lösung des Konflikts diskutiert wird.“ Er bemerkte, dass im Moment niemand versuche, den Krieg zu beenden, dass dies aber die Voraussetzung für die Diskussion über Versöhnung und Wiederaufbau sein müsse. Schwartz, dessen Diozese sich in Charkiw, nahe der Frontlinie befindet, hielt dagegen: „Wir können nicht aufhören, uns selbst zu verteidigen – Freiheit ist für uns der größte Wert.“

Pfarrer Dr. Grzegorz Giemza vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Polen stellte das Projekt „Versöhnung zwischen Kirchen in Europa“ vor, das seinen Ursprung im polnisch-deutschen Versöhnungsprozess nach dem Zweiten Weltkrieg hat und ab 1997 auch die Ukraine und Weißrussland einbezog . „Im Moment ist es unmöglich, in dieser Gruppe über Versöhnung zu sprechen“, sagte er, „aber wir müssen uns auf die Zeit nach dem Krieg vorbereiten und in Kontakt bleiben.“ Das Forum hat in den vergangenen 25 Jahren einen Raum des Vertrauens geschaffen, auf den man nun zurückgreifen kann. Persönliche Treffen finden in Polen statt, dem derzeit einzigen Ort, an dem jeder sicher reisen kann. Um den Boden für künftige Generationen zu bereiten, plant die Gruppe eine Konferenz mit Studierenden aus den vier Ländern.

„Wir müssen die Beziehungen, die wir haben, aufrechterhalten“, sagte Giemza. „Nach dem Krieg werden wir alle Kanäle brauchen, die die Menschen an einen Tisch bringen. Die Kirchen sind sehr gut darin, dies zu ermöglichen.“ Er brachte seine Überzeugung zum Ausdruck, dass eine Versöhnung möglich sei.

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